Mission Eisenbahn

Die stellvertretende albanische Ministerpräsidentin Belinda Balluku war letzte Woche zu Besuch in der Schweiz: Beim Schienenfahrzeugbauer Stadler Rail und bei Bundesrat Albert Rösti

Die albanische Eisenbahn soll eine Renaissance erfahren. Während kaum mehr Züge im Land fahren, wird schon seit Längerem an der Erneuerung der Eisenbahnstrecke von Durrës nach Tirana gearbeitet. Das Projekt zieht sich in die Länge, aber es geht voran. Finanziert wird das Vorhaben mit Geldern der Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Eine Stärkung des öffentlichen Verkehrs wäre für den staubelasteten Grossraum Tirana sicherlich von Vorteil.

Verlegung neuer Schienen in Durrës
Verlegen neuer Schienen in Durrës – Mai 2025

Während sich Bahnenthusiasten freuen, dass sogar die Arbeiten an der Strecke zum Flughafen vorangehen, bleiben doch noch grundlegende Fragezeichen offen. So wurde die Öffentlichkeit noch immer nicht orientiert, wo genau am Flughafen der Bahnhof zu liegen kommen soll. Ähnliche Spekulationen gibt es rund um den Bahnhof von Tirana: Gibt es doch noch einen Innenstadtbahnhof oder endet die Strecke an der Peripherie? Auch die Frage, wie ein Kollaps des Verkehrs zwischen Kamza und Tirana verhindert werden soll, wenn da mehrfach pro Stunde Züge die Strasse queren, ist noch völlig offen.

Fehlendes Rollmaterial

Aber all diese Fragen sind eigentlich völlig irrelevant, solange nicht geklärt ist, womit die neuen Strecken in Albanien überhaupt befahren werden sollen. Mit den alten tschechoslowakischen Diesellokomotiven lassen sich die versprochenen Geschwindigkeiten nicht erreichen. Und in die Passagierwagen der Hekurudha Shqiptare HSH trauen sich nur die abenteuerlustigsten Touristen. Das ist alles nichts für eine moderne Eisenbahn oder Flughafenanbindung und weit entfernt von den hübschen Filmchen, die produziert wurden, um die Zukunft des albanischen Schienenverkehrs zu illustrieren.

Zug der albanischen Eisenbahn in Peqin
»Durrës-Elbasan-Express« in Peqin (2019)

Wie beim Strassenbau ist auch bei der Eisenbahn nicht mit einer perfekten Lösung ab dem ersten Tag zu rechnen. So wird die Strecke aktuell nicht zur Doppelspur ausgebaut, was betrieblich herausfordernd wird. Aber das kann man ja auch noch ändern, wenn die Eisenbahn zum Erfolg wird.

Ebenfalls wurde auch angekündigt, dass die Oberleitungen erstmal nicht installiert werden – man rechnet wohl damit, dass zu Beginn weiterhin mit den alten Dieselloks gefahren wird. Generell scheint die HSH, das jahrzehntelang vernachlässigte und unterfinanzierte staatliche Eisenbahnunternehmen, mit grossen Bauprojekten überfordert zu sein. Und lange war die albanische Regierung wohl nur wegen der ausländischen Fördergelder am Thema Eisenbahnbau interessiert, ohne wirklich Begeisterung fürs Thema zu zeigen.

Zur Chefsache erklärt

Allmählich wird man sich aber auch in Albanien der Probleme bewusst. Das Thema Rollmaterial scheint jetzt zur Chefsache erklärt worden zu sein. Belinda Balluku, Ministerin für Infrastruktur und Energie und stellvertretende Ministerpräsidentin, ist extra wegen dieses Themas in die Schweiz gereist.

Normalerweise sieht man Balluku in Albanien von Baustelle zu Baustelle, von Tunneleröffnung zu Strasseneröffnung eilen. Balluku leitet schon seit sechs Jahren eines der wichtigsten und korruptionsanfälligsten Ministerien Albaniens – ohne Skandal und überraschend lange ohne Versetzung. Die Enkelin des kommunistischen Verteidigungsministers Beqir Balluku, der 1974 von Enver Hoxha wegen eines angeblichen Staatsstreichs hingerichtet wurde, scheint das volle Vertrauen von Edi Rama zu geniessen. Aus der Schweiz meldete sie sich auf Social Media per Video aus einem SBB-Zug – grauenhaft wacklige Bombardier-Dosto-Fahrt – und kündigte ähnlichen Bequemlichkeiten bald auf der Strecke zwischen Durrës und Tirana an.

Balluku und ihre Delegation trafen in der Schweiz Peter Spuhler, Verwaltungsratspräsident des Schienenfahrzeugbauers »Stadler Rail«. Stadler verkauft weltweit Lokomotiven, Gelenktriebwagen, Trams und massgefertigte Schienenfahrzeuge aller Art.

Tirana nimmt sich jetzt also ernsthaft dem Thema Rollmaterial an. Undie Schweizer Züge scheinen in Tirana doch noch nicht abgeschrieben zu sein, obwohl Stimmen gemunkelt hatten, dass nur Siemens eine Chance habe für diesen Deal.

Höflichkeitsbesuch beim Bundesrat

In Bern traf Balluku zudem Bundesrat Albert Rösti, als Vorsteher des Departments für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sozusagen ihr Schweizer Counterpart.

Belinda Balluku und Bundesrat Albert Rösti am Händeschütteln
Ministerin Belinda Balluku und Bundesrat Albert Rösti

Balluku schrieb auf Social Media, dass man sich über die »Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Albanien und der Schweiz im Bereich des Verkehrs« ausgetauscht habe, wobei die Förderung der Eisenbahn, die Modernisierung des albanischen Eisenbahnnetzes und die Verbesserung der Dienstleistungen im Mittelpunkt standen. Balluku bezeichnete die Eisenbahn als »Schlüsselkomponente nachhaltiger Infrastruktur und regionaler Konnektivität« – eine eher überraschende Aussage angesichts des Dornröschenschlafs des albanischen Schienenverkehrs. Gerne wolle man »von den erfolgreichen Schweizer Erfahrungen in diesem Bereich« profitieren.

Balluku schreibt auch, dass man »über ein zwischenstaatliches Abkommen im Bereich wirtschaftliche Zusammenarbeit« gesprochen habe. Das UVEK betonte auf Anfrage gegenüber albanien.ch, dass es beim Treffen keine Verhandlungen gegeben habe. Es sei ein »kurzes Höflichkeitstreffen« gewesen mit informellen Meinungsaustausch: »Bei diesem Anlass stand das gegenseitige Kennenlernen im Vordergrund.«

Uns würde es freuen, wenn auf das Kennenlernen noch weitere Schritte der Zusammenarbeit folgen würden. Es wäre natürlich schön, wenn man bald mit Stadler-Zügen durch Albanien fahren könnte – schnell vom Flughafen in die Innenstadt von Tirana oder von Tirana an den Strand in Durrës und hoffentlich auch bald wieder auf weiteren Strecken.

Lars Haefner

Video aus dem SBB-Zug auf Facebook.com

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