Clotaire
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Kosovos steiniger Weg zur Weinnation

Mo, 12. Jan 2009, 20:37

Kosovos steiniger Weg zur Weinnation

Ein traditionsreicher Wirtschaftszweig muss sich neu erfinden

Kosovo verfügt über ein ideales Klima für den Weinbau. Mit der Selbstzerstörung Jugoslawiens setzte aber auch der Niedergang dieses Wirtschaftszweigs ein. In Orahovac, dem Zentrum des kosovarischen Weinbaus, wird ein Neuanfang versucht. Die Altlasten wiegen schwer.


Orahovac, im Dezember


Die Bewohner von Orahovac gelten als arbeitsames Volk. Was der Boden an Früchten hergibt, wird seit Generationen fleissig gepflegt. Die Natur meint es gut mit der rund 80 000 Menschen zählenden Gemeinde, die 40 km südwestlich der kosovarischen Hauptstadt Pristina liegt. Gegen 250 Sonnentage pro Jahr, ein kontinentales Klima, eine von sanften Hügelzügen gezeichnete Topografie und eine Höhenlage von 300 bis 400 Metern über Meer sorgen dafür, dass der hiesige Boden zu den fruchtbarsten Europas gehört. Die Bevölkerung findet denn auch von jeher ihr Auskommen vorab in der Landwirtschaft. Die Frage, welcher Ethnie sich der Nachbar zugehörig fühlt, der albanischen Mehrheit oder der serbischen Minderheit, interessierte hier noch vor wenigen Jahrzehnten kaum jemanden. Die Völker lebten einigermassen friedlich miteinander. Die gemeinsame Sorge um die Früchte der Erde wog stärker als die Propaganda um Blut und Boden.
Amselfelder» für Deutschland
Doch seit dem Zerfall Jugoslawiens ist auch in Orahovac nichts mehr, wie es einmal war. In der Region tobten Ende der 1990er Jahre die Kämpfe zwischen serbischen und kosovo-albanischen Einheiten besonders heftig, und der fruchtbare Boden fand nicht zuletzt als Versteck für Minen seine neue, zerstörerische Verwendung. Der Kultivierung folgte die Verwilderung, die Kulturlosigkeit – zivilisatorisch und landwirtschaftlich. Noch immer, fast zwei Jahrzehnte nach dem Krieg, sind längst nicht alle Minen aus den Böden entfernt. Und tief geblieben sind jene Spuren, die der ethnisch begründete Konflikt in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat. Von unverkrampfter Koexistenz kann keine Rede mehr sein. Kontakte zwischen Kosovo-Albanern und Serben – Letztere leben zumeist in der von Uno-Soldaten bewachten Enklave Velika Hoca – sind selten geworden. Erst recht seit dem Februar 2008, als Kosovo einseitig die Unabhängigkeit von Serbien erklärte.

Der Weg in die Normalität ist ein steiniger. Das gilt auch für die Weinindustrie, den wichtigsten Wirtschaftszweig in Orahovac. Noch in den 1980er Jahren exportierte die Region bis zu 40 Mio. l Wein pro Jahr, hauptsächlich nach Deutschland. Bekannt war vor allem der rote «Amselfelder», dessen süsslicher Geschmack zwar die wenigsten Connaisseurs zu Begeisterungsstürmen hinriss, der dank tiefem Preis aber in vielen Studentenbuden in nicht zu knappen Mengen floss. Die staatlichen Weingüter waren damals eigentliche Weinfabriken: Mengenmaximierung lautete die Devise; die Qualität hatte sich dieser Maxime unterzuordnen. Beliefert wurden primär ausländische Grossabfüller – bis mit dem Aufstieg des Serbenführers Slobodan Milosevic der Niedergang einsetzte: Nationalismus machte sich auch in der Weinindustrie breit. In den staatlichen Weinbetrieben von Orahovac, Suva Reka und Djakovica wurden albanische Chefs systematisch durch serbische ersetzt, viel Wissen ging verloren. In einer Zeit, da Weinhersteller weltweit mit neuen Techniken experimentierten und Anbieter aus Australien, Südamerika und Südafrika nach Europa drängten, verlor Kosovos Weinbranche den Anschluss an die Welt.

Den Wiederanschluss sucht Stone Castle Vineyards & Winery. Der grösste Weinproduzent Kosovos befindet sich im Besitz eines nach New York emigrierten Kosovo-Albaners; vor dem Verwaltungsgebäude weht neben der albanischen denn auch die amerikanische Flagge. Im August 2006 erwarb Stone Castle im Zuge der Privatisierung das Weingut von Orahovac für 5 Mio. € und die Verpflichtung zu weiteren Investitionen (diese betrugen bisher ebenfalls 5 Mio. €). Neben dem im Krieg zumeist zerstörten Maschinenpark erhielt man 2200 ha Rebberge. Davon sind derzeit nur 520 ha nutzbar; der Rest befindet sich nach fast zwei Jahrzehnten der Verwilderung in allzu desolatem Zustand. Die meisten Trauben bezieht das Unternehmen von privaten Kleinbauern aus der Region. Mit deren Hilfe produzierte Stone Castle 2007 bei einem Umsatz von 3 Mio. € rund 4,5 Mio. l Wein. Knapp die Hälfte davon wurde exportiert, vorab nach Deutschland und zumeist in grossen Tanks. Selber abgefüllte Flaschen werden derzeit erst im Inland und in Albanien abgesetzt – und in der Schweiz, wo man auf den Durst der gewichtigen Diaspora zählt.

Zerstückelte Anbauflächen
Firmenvertreter Agron Aliqkaj macht im Gespräch kein Geheimnis aus den Problemen. Der derzeitige Weinmarkt sei mit jenem der 1980er Jahre nicht vergleichbar; alte Rezepte taugten nichts, um verloren gegangene Märkte zurückzuerobern. Stone Castle zieht daher Önologen aus aufstrebenden Weinregionen wie Australien zu Rat, um den neuen Geschmäckern stärker Rechnung zu tragen. Für die Qualitätssteigerung ist zudem eine Mengenreduktion – zu jugoslawischen Zeiten ein Tabu – unumgänglich. Nötig ist auch ein professionelles Marketing; dieses schien den ehemals sozialistischen Kooperativen angesichts langjähriger Lieferverträge ebenfalls überflüssig. Auf staatlichen Support kann die Branche dabei nicht zählen. Der Regierung des jüngsten und zugleich ärmsten Staats Europas fehlt das Geld zu Subventionen. Und auch von einem transparenten Qualitätssystem oder klar definierten Appellationen bleibt man weit entfernt. Der Stärkung der «Marke Kosovo» – ein von Regierungsvertretern dieser Tage oft gehörtes Bekenntnis – ist dies wenig förderlich, zumal es mit dem Image der Marke im Ausland nicht überall nur zum Besten steht.

Stützte sich die kosovarische Weinindustrie in ihren besten Zeiten, also in den 1980er Jahren, auf 9000 ha an Weinbergen, sind es derzeit nur noch 5000 ha. Die verbliebenen Anbaugebiete – fast ausschliesslich im Süden und Westen des Landes – sind stark fragmentiert. Auch dies ist eine Altlast aus jugoslawischen Tagen, als einem landwirtschaftlichen Haushalt maximal 10 ha an Boden zugestanden wurden. Die meisten privaten Traubenproduzenten bearbeiten laut Angaben der amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation USAID eine Fläche von nur gerade 0,5 ha bis 2 ha; mitunter sind diese Kleinstflächen noch auf verschiedene Anwesen verteilt. Eine maschinell effiziente Produktion und die Nutzung von Grössenvorteilen sind vor solchem Hintergrund nicht denkbar. Die Weinproduzenten würden es daher begrüssen, wenn der Staat die Konsolidierung der Agrarflächen stärker vorantreiben würde. Diesem Ziel stehen im dichtbesiedelten Kosovo aber nicht zuletzt die vielerorts unklar definierten Eigentumsrechte an Grund und Boden im Wege; das Katasterwesen steckt noch in den Kinderschuhen, trotz entsprechenden Förderprojekten etwa der Weltbank.

Dennoch, in Orahovac glaubt man an die Zukunft des Weinbaus. Stolz wird dem Besucher die vollautomatisierte und seit 2007 in Betrieb stehende Abfüll- und Etikettieranlage aus slowenischer Produktion demonstriert. Die Anlage soll Stone Castle zu einem künftig profitableren Geschäft verhelfen; so bringt eine selbst abgefüllte Flasche Wein einen sechsmal höheren Erlös, als wenn derselbe Wein im Tankwagen verkauft würde. Über den fehlenden Support der Regierung hört man wenig Klagen. An die Stelle der staatlichen Hilfe tritt die regionale Solidarität: Als 2007 ein extrem heisser Sommer der Traubenernte arg zusetzte, bezahlte Stone Castle den Zulieferern deutlich höhere Preise, um so das Überleben der Bauern zu sichern. Denn auf das vorteilhafte Wetter und die ertragreiche Erde ist auch im fruchtbaren Südwesten Kosovos nicht immer Verlass. Wenngleich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Klima noch stets jener Faktor war, auf den sich die arbeitsamen Weinbauern von Orahovac am ehesten verlassen konnten.

http://www.nzz.ch/nachrichten/wirtschaf ... 62689.html
Begegne dem Menschen mit gutem Charakter.

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Opoja_Pz
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Di, 13. Jan 2009, 18:41

Rahovec für die die es ALBANISCH hören möchten so wie ich ^^

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