Wenig erfolgreiche planwirtschaftliche Stadtgründungen

Die Kommunisten haben Albaniens Landschaft verändert: Sümpfe wurden trocken gelegt, die Landwirtschaft grundlegend verändert, überall wurden Seen zur Bewässerung und Energiegewinnung aufgestaut – und das ganze Land wurde industrialisiert. Für die neuen Fabriken und Bergwerke brauchte es Arbeiter, die Unterkünfte brauchten, weshalb im ganzen Land zwischen 1945 und den späten 70er Jahren neue Städte angelegt wurden.

Kukës, Hauptplatz – planerische Ödnis

Mehr als 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes lohnt sich ein Blick zurück, wie erfolgreich diese Stadtgründungen waren.

Das stadtlose Land

Natürlich gab es in Albanien prosperierende Städte und zahlreiche Ort, deren Geschichte oftmals bis in die Antike reichte. Neben den beiden grossen Städten Shkodra und Korça sowie weiteren lokalen Zentren wie Berat, Elbasan, Tirana und Gjirokastra gab es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein aber keine Orte, die an eine richtige Stadt erinnerten. Selbst die wichtigsten Häfen waren klein: Shëngjin hatte nach dem Ersten Weltkrieg keine 100, Saranda weniger als 1000 Einwohner. Vlora, etwa zwei Kilometer vom Ufer entfernt, hatte zwar deutlich mehr Einwohner, aber kaum etwas, das städtisch wirkte: ein paar Moscheen, einige wenige enge Gassen und einen Marktplatz. Durrës hatte um 1900 kaum mehr als 1000 Einwohner, aber immerhin etwas städtisches Leben in den engen Gassen innerhalb der Stadtmauern. Der bedeutendste Hafen des Landes sollte sich in der Folge jedoch rasch entwickeln. Noch viel schneller wuchs Tirana, das 1920 Hauptstadt geworden war, aber schon 1917 knapp über 10’000 und zehn Jahre später schon fast doppelt so viele Einwohner hatte.

Im Allgemeinen war das junge Albanien aber sehr ländlich geprägt: 1926 lebten nur 16 % der Albaner in Städten. An einigen Verwaltungszentren und Marktplätzen hatten sich zum Teil ein paar Hundert Personen niedergelassen. Auch lokale Machtzentren und Wohnsitze von Beys wie Kruja, Kavaja, Fier, Lushnja, Leskovik, Përmet, Delvina, Libahova, Peqin oder Pogradec hatten höchstens ein paar Tausend Einwohner, aber abgesehen von Gotteshäusern und Märkten kaum städtische Infrastruktur. Besonders die gebirgigen Gebiete des Landes waren komplett frei von Städten. Noch 1945 gab es in einem Drittel der Kreise keine Stadt.

Die kommunistischen Stadtgründungen

Alt und Neu in Kuçova

Die sozialen Reformen und die rasch einsetzende Industrialisierung der Nachkriegszeit zogen eine rasche Urbanisierung des Landes mit sich. Bis 1969 nahm die städtische Bevölkerung pro Jahr um 4,5 % zu. Vielerorts wurden aus kleinen Dörfern städtische Zentren, mancherorts wurden neue Siedlungen gänzlich auf dem Reissbrett geplant.

Im Norden entstanden Verwaltungszentren wie Rrëshen, Burrël und Bajram Curri sowie viele Bergwerkstätte (Kruma, Rubik, Kurbnesh, Krasta in Martanesh, Bulqiza). Im Süden waren Kohle (Memaliaj), Erdöl (Ballsh, Patos, Kuçova als Qytet Stalin, Roskovec und Cërrik) und die Waffenproduktion (Poliçan und Çorovoda in Skrapar) die treibenden Kräfte.

Die neuen Grossfabriken wurden meist bei bestehenden Grossstädten gebaut, wobei im Falle von Tirana etwas ausserhalb ein ganzer Stadtteil (»Kombinati«) gegründet wurde, der den Arbeitern der in den 50er Jahren gegründeten »Stalin-Fabrik« ein Zuhause bot. Manchmal wurden Industrien aber auch abseits der grossen Zentren angelegt, so bei Laç oder Cërrik. Im Südosten entstanden mit Maliq ein Zentrum des Zuckerrohranbaus und -verarbeitung

Vielerorts entwickelten sich kleine Dörfer, die meist historisch schon als Treffpunkt oder Marktplatz der Region dienten, zu lokalen Verwaltungszentren (Tepelena, Gramsh, Librazhd, Klos (Mat), Vau-Deja, Puka, Kukës). Etwas Bedeutung und beträchtliche Einwohnerzahlen erlangte auch manches Dorf, in dem die Verwaltung einer landwirtschaftlichen Genossenschaft untergebracht wurde. Ein besonderes Beispiel hierfür ist Kamza, wo neben der Genossenschaft noch die Faktoren Kohlebergwerk und Nähe zu Tirana in Form der Landwirtschaftsuniversität begünstigend hinzukamen. Heute ist Kamza eine der grössten Städte des Landes.

Aufgrund der Aufstauung des Fierza-Sees musste in den 70er Jahren die Stadt Kukës verlegt werden. »Neu-Kukës« entstand als Planstadt etwas östlich auf einem windigen Plateau.

Rückblickend entwickelten sich die wenigsten dieser Planstädte zu richtigen Städten: Zwar verliehen ein paar hässliche Plattenbauten den Orten etwas Urbanität, aber die Einwohnerzahlen blieben meist im tiefen vierstelligen Bereich. In Albanien reichte dies schon, um das Prädikat »Stadt« oder »Bashkia« verliehen zu kriegen.

Die Schwierigkeiten der Landstädte im Post-Kommunismus

Das Leben zieht an Rubik vorbei

Die meisten dieser Planstädte machten in den letzten 25 Jahren eine schwierige Transformation durch. Fast überall gingen die wichtigen Arbeitgeber verloren. Insbesondere in der Industrie und im Bergbau gab es lange keine Beschäftigung mehr. Auch der Staat hatte kaum Finanzen, so dass gerade die kulturellen Angebote schnell eingstellt wurden. Im Gegensatz zu den Grossstädten, wo eine kleine Mittelschicht und Oberschicht heranwuchs, ist die Bevölkerung dieser Planstädte und ihrer Umgebung meist sehr arm, so dass auch der Dienstleistungssektor sehr bescheiden blieb. Zum Teil findet die Bevölkerung der Landstädte auch heute noch ein – zumal ergänzendes – Einkommen in der Landwirtschaft.

Trotz aller Probleme haben die Landstädte aber auch Einwohner aus den umliegenden Dörfern angezogen, da die Infrastruktur im urbanen Raum etwas besser ist. Andernorts sind die Bauerndörfer der Umgebung heute zum Teil bevölkerungsreicher als das lokale städtische Zentrum, das von Arbeitslosigkeit geplagt wird.

Niedergang der Bergwerks- und Industriestädte und krisenfestere Verwaltungsstädte

Im Zentrum von Cërrik – menschenleer

Die meisten Bergwerksbetriebe haben in den 90er Jahren rasch ihren Betrieb einstellen müssen, was unmittelbaren Einfluss hatte auf die Städte, die von ihnen abhängig waren. Gerade die junge Bevölkerung ist rasch ausgewandert – meist illegal nach Griechenland oder Italien, um dort etwas Geld zu verdienen und die Familie in der Heimat zu unterstützen. Im Verlauf der letzten 25 Jahre haben viele Einwohner diese Städte verlassen, insbesondere wenn sie abgelegen oder in sehr gebirgigem Gebiet gelegen sind. Etwas weniger stark betroffen sind meist Bergwerksorte, die noch lokale Verwaltungszentren sind oder an Durchgangsstrassen liegen. Die zurückgebliebene Bevölkerung in diesen Bergwerksregionen ist meist von der Landwirtschaft und Überweisungen von Verwandten im Ausland abhängig.

Kurbnesh fast ausgestorben

Einige dieser Bergwerksorte wurden praktisch komplett entvölkert, so das abgelegene Kurbnesh in der Mirdita. In Kruma, dem Zentrum der Region Has im Nordosten, ist die Einwohnerzahl um rund einen Drittel zurückgegangen. Auch Memaliaj im Süden hat rund die Hälfte der Einwohner verloren – ein starker Bevölkerungsrückgang ist aber im ganzen Süden des Landes zu verzeichnen.

Auch die Erdölindustrie war in Albanien kein Garant für Arbeit und Reichtum: Diese Städte sind allesamt von Bevölkerungsrückgang betroffen, wenn auch nicht überall gleich stark.

Die Verwaltungszentren verzeichnen hingegen meist keine solch grosse Abwanderung. Burrël konnte seine Einwohnerzahl halten und Rreshën, Kukës sowie Puka haben zwischen 1989 und 2011 sogar einen Zuwachs verzeichnet.

Neues Leben in Burrël

Aus der Reihe tanzt auch die Bergwerkstadt Bulqiza, wo die Einwohnerzalh seit 1989 deutlich zugenommen hat. Aufgrund der besseren Erzvorkommen besteht hier noch heute eine Industrie, wie sonst kaum wo in Albanien. Hinzu die Funktion als Verwaltungszentrum, was ebenfalls stabilisierend wirkte.

Es gibt viele weitere Städte in der Küstenebene zwischen Vlora und Shkodra und besonders im Grossraum Tirana, die beträchtlich an Einwohner zugenommen haben. Dazu gehören auch ein paar Planstädte wie Kamza als Vorort von Tirana oder Laç. In diesem Fällen scheint aber mehr die Landflucht und die Lage als die Attraktivität der geplanten Städte von Bedeutung für das Wachstum gewesen sein.

Erfolg und Misserfolg der Planstädte

Dunkle Fensterhöhlen in Krasta, Martanesh

Die planwirtschaftlichen Stadtgründungen scheinen sich in ihrem Schicksal nicht gross von anderen Städten zu unterscheiden – leider ist eine detaillierte Analyse aufgrund des schlechten Datenmaterials nicht wirklich möglich. Im Gegensatz zu vielen anderen, im Umland traditionell verwurzelten Städte Albaniens sind die Industriestädte heute aber doch in den meisten Fällen sehr trostlos und unbelebt. Kaum eine Planstadt hat mehr als 10’000 Einwohner erreicht – und wie die ganze Stadtentwicklung Albaniens erleben auch die Planstädte mit Bevölkerungswachstum heute eine Phase der chaotisch-wilden Entwicklung weitab der ursprünglichen planerischen Vorgaben.

Die im Kommunismus entwickelten Verwaltungszentren haben mehrheitlich ihren Platz als wichtige Drehscheibe der Umgebung gefunden – ihre Gründung war ein bedeutender Schritt in der Entwicklung des Landes, auch wenn in der post-kommunistischen Zeit in vielen Fällen ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen war. Es sind zwar vielfach reizlose kleine Provinznester, aber doch kommen hier die Menschen des Umlands zusammen und sorgen für Veränderung und Treiben. Man kauft ein paar notwendige Sachen ein, erledigt Behördengänge, geht hier in die weiterführende Schule oder wartet auf den Bus nach Tirana. Die Stagnation der 90er Jahre ist in den Verwaltungszentren vorbei – es gibt Veränderung, während die Industrieorte leblos wirken, vieles zu Zerfallen droht, der Rückgang deutlich spürbar ist .

Breite Strassen aus kommunistischer Zeit im Zentrum von Kuçova

Eine interessante Mischung ist Kuçova, die grösste albanische Planstadt, die einst über 20’000 Einwohner hatte. Auch hier sind viele Bewohner abgewandert, die Erdöl-Metropole hat aber eine Grösse entwickelt, die ein gewisses Eigenleben garantiert. Und trotz der wirtschaftlichen Misere ist die Erdölproduktion nie ganz  zum Erliegen gekommen, so dass heute noch ein Duft von Öl durch die kommunistischen Prachtsstrassen zieht. Die post-kommunistische Entwicklung hat Kuçova nur zaghaft erfasst – weite Teile des Stadtzentrums werden noch immer von der kommunistischen Architektur, dem roten Stern und Industrieanlagen dominiert. Kuçova gleicht deshalb eher einer Reise durch die Geschichte um 30 Jahre zurück als einer lebendigen albanischen Stadt der Gegenwart.

An vielen anderen Orten ist aber meist tote Hose: Im einzigen Café sitzen ein paar Männer, der zentrale Platz wirkt überdimensioniert und meist auch sehr trostlos heruntergekommen. In den Hintergassen rennen noch ein paar Hühner rum. Aber es fehlen die Investitionen, die kleinen Geschäfte und der Trubel, der vielerorts Ausdruck der albanischen Lebensfreude ist.

Quellen: u.a. T. Selenica: »Shqipëroa më 1927«, Tirana 1928;
Arqile Bërxholi, Dhimitër Doka, Hartmut Asche (Hrsg.): »Altasi Gjeografik i Popullisë së Shqipërisë«, Tirana 2003;
Franz  Seiner: »Ergebnisse der Volkszählung in Albanien in dem von den österr.-ungar. Truppen 1916 - 1918 besetzten Gebiete«, Wien 1922, online;
Cay Lienau, Günter Prinzing (Hrsg.): »Albanien – Beiträge zu Geographie und Geschichte«, Münster 1986;

One Response so far.

  1. Toni Schwamberger sagt:
    Ein sehr interessanter Bericht und viel Neues für mich dabei. Von dieser Seite aus habe ich Albanien noch gar nicht betrachtet. Danke dafür.

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