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Eine eigene Schule

Eindrücke des Leiters eines Albanienprojekts einer Zürcher Schule

Als das Albanienkomitee der Kantonsschule Hohe Promenade in Zürich 1992 die ersten Beziehungen zu Albanien knüpfte, fehlte es in diesem Land so ziemlich an allem. Unsere Transporte umfassten Kleider, Schuhe, Esswaren und Schulmaterial. In der Schule »Ismail Qemali« in Tirana wurden ein Chemielabor, ein Computerzimmer und eine Bibliothek eingerichtet sowie zumindest teilweise ausgerüstet, wurden mehrere Schulzimmer renoviert und mit Wandtafeln versehen. Dabei wurde diverses weiteres Material geliefert. Seither hat unsere Partnerschule - auch mit Hilfe anderer Organisationen - einen für albanische Verhältnisse hohen Stand erreicht. Deshalb hat der Verein Ende 1996 beschlossen, die materielle Hilfe hauptsächlich auf das »Technische Gymnasium« mit angegliedertem Internat im nordalbanischen Rubik zu verlagern. Die Aufträge für Reparaturarbeiten wurden - soweit möglich - an kleine, private Schreinerbetriebe ausgegeben. Indem das Geld direkt in Albanien investiert wird, können dort nämlich zusätzlich Arbeit und Verdienst geschaffen werden.

Im Jahre 1997 mussten wir kürzer treten. Bedingt durch die Unruhen im Lande konnte der vorgesehene Transport nicht durchgeführt werden. Während der Unruhen wurde zudem alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus dem Schulhaus in Rubik gestohlen, zum Teil fanden sogar Türen und Fenster neue Besitzer. Aber glücklicherweise wurden die renovierten Räume nicht wie an andern Orten verwüstet, so dass diese anschliessend wieder mit Inventar versehen werden konnten. Vor Ostern 1998 konnte der für das Jahr 1997 geplante Transport endlich mit Erfolg durchgeführt werden.

Da noch verschiedenes Material, unter anderem rund 30 Computer, zurückbleiben mussten, war ein weiterer Transport vorgesehen. 1999 liess sich der Transport wegen des Kosovo-Konfliktes und der damit verbundenen Flüchtlingswelle nach Albanien nicht durchführen. Das Komitee beschloss aber, SFr. 10'000.- für Direkthilfe einzusetzen: In unserem Auftrag kaufte unser Vertrauensmann Dinge des täglichen Gebrauchs und verteilte sie in zwei Flüchtlingslagern.

Als letztes Jahr endlich wieder daran gedacht werden konnte, den Transport zu realisieren, machten uns die albanischen Behörden einen Strich durch die Rechnung. Eine Woche bevor der Transport vor den Sommerferien losfahren sollte, erhielten wir die Nachricht, dass nun auch für humanitäre Güter hohe Einfuhrzölle erhoben würden. Kurzfristig musste der Transport sistiert werden; auch die albanische Botschaft in Bern vermochte uns nicht zu helfen.

Mit Spendengeldern haben wir währenddessen einen Hausanteil in einem mehrstöckigen Gebäude in Tirana gekauft. Darin wird eine Schule »Hohe Promenade« für Kinder von armen Leuten eingerichtet - Kinder, die sonst keine Möglichkeit haben, überhaupt eine Ausbildung zu erhalten. In den vergangenen Jahren sind viele albanische Familien von den Bergdörfern in die Stadt Tirana abgewandert. In den neu entstehenden Vorstädten mangelt es allerdings an beinahe jeglicher Infrastruktur, auch an Schulen. In »unserer Schule« sollen die Kinder gratis die Möglichkeit erhalten, Grundkenntnisse erwerben können, um so den Anschluss an die öffentliche Schule zu schaffen. Pro Tag sollen sie auch eine warme Mahlzeit erhalten; dies soll die Bereitschaft der Eltern beeinflussen, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Ähnliche Projekte werden von unseren lokalen Partnern bereits betrieben.

Um die Möglichkeiten für den Transport abzuklären, sind im Oktober ein Kollege und ich nach Tirana geflogen. Zugleich aber sollte auch das weitere Vorgehen für die Einrichtung der neuen Schule mit unserem Vertrauensmann abgesprochen werden.

Schon bei meinem ersten Besuch erschien die Wirklichkeit des Lebens in Albanien um vieles härter und grausamer als meine Vorstellungskraft. Während der Zeit der alten Regierung unter Enver Hoxha hat sich Albanien aus politischen Gründen von der übrigen Welt abgeschottet. Heute ist das Umgekehrte festzustellen: Albanien wird von aussen abgeschottet. »Früher sassen wir in einem Gefängnis, weil die Regierung dies so wollte; heute sitzen wir immer noch im Gefängnis, weil man uns in Europa nicht will«, meinte ein Bekannter. Zu viele möchten einfach nur raus aus Albanien, und niemand will diese Zehntausende armer Menschen aufnehmen. Tief beeindruckt hat mich allerdings die Tatsache, dass ein armes Volk von drei Millionen Einwohnern während des Kosovo-Konflikts rund eine halbe Million Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat. Die Erklärung, dass Albaner nur andere Albaner aufgenommen hätten, greift dabei zu kurz.

Von einem stabilen Staat kann nach wir vor nicht gesprochen werden, die Folgen des Einbruchs der sogenannte »Pyramiden«, einer höchst spekulativen Geldanlage, sind noch immer wirksam. Und unser Vertrauensmann wollte durchaus nicht nach dem Eindunklen mit dem Auto ausserhalb von Tirana unterwegs sein. Gerade in der Wahlzeit sei es zu gefährlich; die vor Jahren zu Hunderttausenden verschwundenen Kalaschnikows sind nach wie vor vorhanden. Und als wir einen Ausflug auf einen Aussichtspunkt nahe Tirana unternahmen, drängte er uns bald zur Rückfahrt. Die im Aussichtsrestaurant sitzenden Männer erschienen ihm zu »unheimlich«; lauter neue Mercedes standen vor der Einfahrt.

Zum Gefühl des Ausgeschlossenseins der Albaner kommt hinzu, dass sie sich als Menschen zweiter Klasse fühlen. Unser Vertrauensmann arbeitet bei einer internationalen Hilfsorganisation und gehört dadurch zu den eindeutig besser gestellten Albanern. Als »Deputy Director« der Organisation verdient er allerdings nur ein Drittel dessen, was der aus dem Ausland stammende Direktor erhält. Der Albaner hat aber von seinem Lohn zusätzlich Abgaben wie Steueren, Krankenversicherung und anderes mehr zu entrichten, sein Chef nicht. »Dafür« erhält dieser aber zusätzlich freie Wohnung und diverse andere Zugaben. Und auch die anderen Mitarbeiter der Organisation werden kritisch beurteilt: Sie seien überhaupt nicht an Albanien interessiert, sondern bloss am guten Verdienst.

Ein schweres Problem stellt die Arbeitslosigkeit dar; vom Staat wird sie auf rund 30% geschätzt, andere Schätzungen sprechen von 60 bis 75% der Arbeitsfähigen. Auf meine Frage, womit sich denn diese Leute überhaupt beschäftigen, kam unverzüglich die Anwort: »Sie warten auf Geld von aussen. Jede Familie hat irgendein Familienmitglied irgendwo im Ausland, das seinen Teil zum Überleben der Familie beiträgt.« Und eine andere Stimme meint: »Es ist schon komisch. Keiner hat Arbeit, aber alle sind mit etwas beschäftigt.« Dieses »Etwas« besteht zum Beispiel im Versuch, irgendwelche Waren zu verkaufen. Vor den Häusern ganzer Strassenzüge wurden Verkaufsstände aufgestellt, Garagen wurden in Läden umfunktioniert, in denen so ziemlich alles zu haben ist, was man will, sofern man das Geld dazu besitzt. Ein paar Meter weiter bietet ein anderes Geschäft dieselben Waren an. Und überall diese kleinen Jungs, die mit einer Schuhschachtel voller Zigaretten und Zigarettenanzündern ihre Runden durch die Restaurants und die Pärke drehen, immer in der wohl hoffnungslosen Hoffnung, auf diese Weise ein paar Lek zu verdienen.

In Tirana lernten wir persönlich eine arme Familie kennen. Die Frau arbeitet als Putzfrau in einem Betrieb. Der Mann kann nicht mehr arbeiten, da er auf einem Ohr taub, auf dem anderen kaum mehr etwas hört. Der Familie fehlen aber schlicht die finanziellen Möglichkeiten, das Geld zusammenzubringen, damit sich der Mann Hörgeräte beschaffen kann.

Früher hatte die Hauptstadt Tirana rund 300'000 Einwohner. Durch die Abwanderung aus den Bergen stieg die Einwohnerzahl bis auf gegen eine Million. Allerdings fehlt in den neu entstehenden Vororten beinahe jegliche notwendige Infrastruktur.

Die Strassen Albaniens sind - wenn überhaupt asphaltiert - übersät mit Löchern. In der »Autoshkolla« lernt der zukünftige Fahrer vor allem, wie er den Schlaglöchern auszuweichen hat, indem er auf die linke Fahrspur fährt und dann, bevor das entgegenkommende Gefährt zu nahe ist, wieder auf die rechte Seite wechselt. Und abends wird Tirana zu einer dunklen Stadt; die wenigen Strassenlampen und die Autoscheinwerfer vermögen kaum Licht in die Dunkelheit zu bringen.

So lange ein Auto oder Lastwagen noch irgendwie zum Fahren gebracht werden kann, quält sich das Gefährt über die Strassen. Einen Ruhestand für Autos gibt es nicht. Und sind die fahrenden Ruinen irgendwann wirklich nicht mehr in Bewegung zu setzen, werden sie total ausgeschlachtet. Sämtliches Material taucht später irgendwo auf dem Markt wieder auf. Wenn zum Beispiel jemand die Scheibe seines Autos ersetzen muss, wird er irgendwo eine passende finden. Die Carrosserien aber bleiben am Rande der Strassen liegen. Einem Bekannten wurde das Auto vor dem Haus gestohlen. Es wieder aufzufinden, ist aussichtslos. Es wird wohl in seine Einzelteile zerlegt auf dem Markt wieder auftauchen, und die Carrosserie rostet irgendwo am Strassenrand vor sich hin, wie Hunderte andere auch.

Die Hoffnungslosigkeit und das Fehlen von Zukunftsperspektiven für die Menschen hatten mich bei meinen Besuchen am stärksten bedrückt. Beim ersten Besuch habe ich für mich als Erklärung gefunden, es sei noch zu kurz nach der politischen Wende, die Änderung brauche Zeit. Die Feststellungen heute sind allerdings die gleichen. Und irgendwie erscheint der Schmutz in der Stadt als Zeichen für den seelischen Zustand der Bevölkerung. Überall liegt Kehricht herum, die Abfallcontainer quellen über, die vollen Säcke liegen rundherum verstreut. Wird der Kehricht endlich entsorgt, wird er irgendwo auf dem Lande einen Abhang hinuntergekippt. Überall liegen Petflaschen, Plastiksäcke und anderer Unrat herum. Warum nicht einmal eine Woche der Sauberkeit ausrufen und das Land säubern? Armut und Dreck müssten sich nicht decken!

Es ist schwer zu verstehen, wie schöngekleidete junge Frauen in topmodischen, und ältere Frauen in feinen, nicht weniger modischen Schuhen scheinbar ungerührt durch all den Unrat und die Regenpfützen stapfen. Aber irgendwie scheint dies symptomatisch für das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, dass sich die Situation kaum gebessert hat und sich in naher Zukunft auch nicht zum Guten ändern wird. Unser Vertrauensmann sprach vom »lethargischen Schlaf« seiner Landsleute. Dieses stoische Verhalten muss wohl als Zeichen der Hoffnungslosigkeit gedeutet werden. Aber es tut weh, dies mitzuerleben, denn all diese Menschen sind nicht schuld an ihrer Situation. Ihre »Schuld« besteht einzig darin, in einem armen Land geboren worden zu sein, während es mein »Verdienst« ist, in einm reichen Land auf die Welt gekommen zu sein. Aber daraus leite ich für mich die Verpflichtung ab, im Rahmen des Albanienkomitees an unserer Schule einen Beitrag gegen diese Armut zu leisten. Und diesem Ziel gleichwertig steht der Anspruch, unsere Schüler und Schülerinnen auf diese Menschen in Armut aufmerksam zu machen und Verantwortungsbewusstsein ihnen gegenüber zu wecken.

Dr. Robert Walpen

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